Wien und der Tod - eine Geschichte des Wiener Zentralfriedhofs

Führung Zentralfriedhof Wien

Ende des 19. Jahrhunderts, am Stadtrand der kaiserlichen Haupt- und Residenzstadt, wurde auf einem brachen Acker der fast 2,5 km große Wiener Zentralfriedhof angelegt. Der Zentralfriedhof ist die Totenstadt der Wiener Bevölkerung schlechthin und ja, zum Tod hatten die Wiener immer schon eine besondere Beziehung. Er wird in Wien nicht weniger verdrängt als anderswo, nur dachte man sich in Wien den theatralischen Tod aus. Die barocke schöne Leich des Hauses Habsburg war angesagt und mit dem Gevatter Hein, dem monokeltragenden Skeletthofrat konnte man es sich vielleicht richten, meinte man. So geht man ein Pantscherl, eine zarte Liebschaft ein und trinkt darauf ein Glaserl Wein. Doch nichts hält ewig und dann erklingt es wehmutvoll:

„Wenn i amal stirb, stirb, müssn mi di Fiaker tragn und dabei Zithern schlagn, weil i das liab, liab“

Ein paar Worte zu den alten Gottesackern und dem Wiener Zentralfriedhof

Führung Zentralfriedhof Wien

Wie überall im Imperium Romanum wurden auch im ehemaligen römischen Lager Vindobona die Verstorbenen außerhalb der Lagermauern beigesetzt. Nach dem Abzug der Römer christianisierte man die römischen Weihestätten durch den Bau früher Kirchen. Umrundet von Kirchhöfen, auch Freythöfe genannt, die in das urbane und dörfliche Leben integriert waren, entwickelten sie sich zu öffentlichen, religiösen und politischen Versammlungsorten. In aufgestellten Bretterbuden wurde der Handel abgewickelt, Bettler, Sieche und Versehrte stellten sich ein und Garküchen sorgten mit frischen Speisen für das leibliche Wohl. Es war ein buntes, lebhaftes Treiben - und Tod war in das kurze Leben miteinbezogen.

Treffpunkt für „den kleinen Tod“: Die leichten Mädchen bahnten ihre Geschäfte auch am Friedhof an. In Wien war das „Ölbergrelief“ bei der Kirche St. Michael als geeigneter Treffpunkt dafür bekannt.

Die „schöne Leich“ muss sein!

Führung Kaisergruft Wien

Die Wiener waren und sind die Profis für den Trauerfall. Ein krönender Abschluss, selbst für das bescheidenste Leben, wurde wichtig. Vorbereitend zahlte man dafür in Sparvereinen ein und nahm Schulden in Kauf. Die Menschen orientierten sich dabei am Prunk der barocken Kaiser- und Adelsbegräbnisse. Bei den herrschenden Habsburgern äußerte sich das in den Begräbnisritualen und mittels aufwendig-pompöser Särge, zu sehen in der Kaisergruft (Bild rechts). Mit „Pomp, Prunk und Gepränge“ wurde ab Maria Theresias Regierungszeit beigesetzt. Würdevoll und prachtvoll war also der letzte Weg, so als ob man dadurch ein besseres Platzerl im Himmel kriegen könnt. Die „Pompfüneberer“, ein Mundartausdruck für Bestatter, leitet sich vom französischen „pomp funebre“ = prunkvolles Leichenbegängnis, ab, die in samtenen, schwarzen Galalivreen, am Kopf Zwei- oder Dreispitzhüte für den stimmungsvollen Ablauf sorgten. Eine neue, gut florierende Bestattungsindustrie war geboren.

Wappenschrift der Bestatterzunft: „Gott behüte unsere Zunft so lang, bis eine Schnecke die Welt umgang und einer Ameise Durst so sehr, bis sie aussauft das ganze Meer!“

Kaiserliche Verordnung von Maria Theresia am 31. Januar 1756:

Maria Theresia

„Kein Verstorbener darf innerhalb von 48 Stunden begraben werden“, wobei für Pest- und Seuchentote eine Ausnahmeregelung galt. Denn angeblich waren 2% der beerdigten Menschen scheintot. Der Schnorchel samt Rettungswecker wurde zu einer beliebten Rettungsmaßnahme für Scheintote.
Beim Rettungswecker umband man die Extremitäten, die man zuerst bewegt, wenn man aus der Agonie erwacht, mit Zwirn. Dieser war durch den Sarg und durch das Erdreich mit Glöckchen am Friedhofswärterhaus verbunden, die dann läuten sollten. Des Weiteren drangen üble Miasmen durch die geringe Beisetzungstiefe und machten den Menschen zu schaffen. Die entstandenen Verwesungsgifte verseuchten die Hausbrunnen und verursachten u.a. die immer wieder kehrenden Choleraepedemien. Die Reaktion war das Hofdekret des Kaisers Josef II. vom 23. August 1784:

„Es sollen von nun an alle Grüfte, Kirchhöfe oder so genannte Gottesäcker, die sich inner in dem Umfange der Ortschaften befinden, geschlossen und statt solcher diese außer den Ortschaften in angemessener Entfernung ausgewählt werden.“

In der Folge ließ man die Wiener Friedhöfe innerhalb des Linienwalls - eine zusätzliche Fortifikationsumwallung zur Stadtmauer - auf. Auch Wiens Grüfte, mit Ausnahme der Kaisergruft, wurden nicht mehr belegt.

Die neuen „communalen“ Leichenhöfe und aus ist es mit der schönen Leich!

Jonyas Mylius

Außerhalb des damaligen Stadtgebietes wurden nun sechs konfessionelle Friedhöfe angelegt: der Friedhof zu St. Marx, der Schmelzer-, der Matzleinsdorfer-, der Hundsthurmer- sowie die beiden Währinger Friedhöfe. Der aufgeklärte Kaiser stellte nun durch ein weiteres Dekret die prunkvollen „schöne Leich“ ab und verordnete den „Josephinischen Gemeindesarg“ mit Klapp-Boden. Die Toten, mit ungelöschtem Kalk für die raschere Verwesung bedeckt und in Tücher eingeschlagen, wurden einfach in die Grube fallengelassen und der Klappsarg konnte weiter verwendet werden. Eine Schockwelle erfasste Wien! Des Kaisers Erfindung wurde empört abgelehnt und ein Jahr später nahm der resignierte Monarch das Dekret zurück.

Ein neuer Zentralfriedhof ist vonnöten:

Die k.u.k. Residenzstadt Wien drohte Mitte des 19. Jhdts. aus allen Nähten zu platzen: Die Einwohneranzahl Wiens war von 1840 bis 1869 von 340.000 auf 630.000 Einwohnern sprunghaft angestiegen. Ein Grundstück außerhalb des Stadtgebietes wurde dringend für einen neuen Zentralfriedhof gesucht, denn die bestehenden Friedhöfe genügten nicht mehr dem Bedarf und den Ansprüchen der wachsenden Metropole. Bedingung war: Der Boden musste leicht, locker und luftdurchlässig sein. 1869 wurde der Ankauf eines angebotenen Grundstückes, ein brach liegender Acker, für den geplanten interkonfessionellen Zentralfriedhof beschlossen. Die beiden Frankfurter Architekten Jonyas Mylius (Bild rechts oben) und Alfred Bluntschli wurden mit dem Konzept beauftragt und am 1. November 1874 wurde der Wiener Zentralfriedhof eröffnet. Viele berühmte Menschen, die auf anderen Arealen ihre letzte Ruhe fanden, wurden - sofern es möglich war - enterdigt und auf den Wiener Zentralfriedhof überführt. Dieser erfuhr dadurch eine größere Aufmerksamkeit und seine Annahme und Beliebtheit wuchs bei der Bevölkerung.

Ein geflügeltes Wort zur „Stadt der Toten“:

„Halb so groß wie Zürich - aber doppelt so lustig ist der Wiener Zentralfriedhof!“


Quellen:

Der Wiener Zentralfriedhof, Broschürenreihe Friedhöfe Wien, 2000;  Ehrengräber am Wiener Zentralfriedhof, Compress Verlag, mehrere Autoren, Friedhöfe Wien;  Es lebe der Zentralfriedhof, Schmid Verlag, mehrere Autoren, Co-Autorin Gabriele Buchas, Wien 2005;  Wiener Friedhofsführer, Falter Verlag, Werner T. Bauer, 1988 Merian live;  Die Ostkirchen in Wien, Styria Verlag, Christian Gastgeber, Franz Gschwandtner, 2004;  Wiener Spaziergänge, Travel House Media, Gabriele Buchas, München 2009;  Und es ist als erwache die Seele, Plätze der Kraft in Wien. Ein Stadtführer zu Kraftorten. Vehling Verlag, Gabriele Buchas, Graz 2003;  Internet: www.wikipedia.org, www.friedhoefewien.at

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